25.01.2017rss_feed

Frische Forum Fleisch: Was tun gegen Klischees

Die Landwirtschaft und insbesondere die Tierhaltung scheint in einer Sinnkrise zu stecken. Die Berichterstattung ist häufig negativ und geprägt von Halbwissen. Über kaum eine andere Branche, von Journalisten und Politkern einmal abgesehen, werden soviele Fake-News publiziert, wie in der Landwirtschaft. Das fängt an beim Wasserverbrauch je kg Fleisch bis hin zum Abschneiden von Rüsseln der Schweine. Keiner hat Ahnung und davon reichlich.
Zum Auftakt der Grünen Woche in Berlin hat sich das Frische Forum Fleisch von afz und Fleischwirtschaft diesem Thema gewidmet und gefragt, wie man aus der Schmuddelecke herauskommt.

Auch Mitglieder des ZDS müssen immer wieder feststellen, dass diejenigen, die eine Agrarwende fordern, häufig gar nicht wissen, wie die derzeitige Landwirtschaft aussieht, geschweige denn die Folgen einer Agrarwende für Deutschland, seine Volkswirtschaft und die Verbraucher abschätzen können. Rudolf Festag, Geschäftsführender Vorstand einer Genossenschaft mit ca. 450 Landwirten, wurde vom Bauernverband eingeladen, um über seine Einschätzungen und Erfahrungen bei der Fleischvermarktung mit mehr Tierwohl zu berichten. Dabei musste er leider feststellen, dass selbst hochrangige Vertreter von Verbänden und agrarpolitische Sprecher nichts oder zu wenig über ganz elementare Grundlage der Fleischerzeugung und –vermarktung wissen.

Den Text dürfen wir mit Genehmigung von Herrn Festag hier - leicht gestrafft - veröffenlichen:

Auf Anfrage des Deutschen Bauernverbands war ich in der vergangenen Woche eingeladen, zusammen mit zwei aktiven Landwirten über die Erfahrungen bei der Umsetzung von Tierwohl-Programmen vorzutragen. Anlass für die Einladung ist die Tatsache, dass wir als EGO seit mehr als 4 Jahren sehr intensiv in die Konzeption und Umsetzung von Tierwohl-Programmen eingebunden waren. Bei der Vorbereitung meiner Präsentation war ich sehr überrascht zu erfahren, dass einem Großteil der Zuhörer (u.a. Vertreter von Ministerien, Agrarpolitiker, Verbandsvertreter - allesamt bemüht, eine Agrarwende einzuleiten - grundlegende Zusammenhänge und Herausforderungen in der Fleischvermarktung nicht oder nur eingeschränkt bewusst sind.

Wer mehr Tierwohl fordert, sollte die nachfolgenden Zusammenhänge verinnerlichen:

  • Fleisch, insbesondere Schweinefleisch ist ein sogenanntes Kuppelprodukt. Sobald Tiere geschlachtet und deren Schlachtkörper gekühlt sind, werden sie in aller Regel zerlegt. Eine Hälftenvermaktung, z.B.an Metzger, findet kaum noch statt. Das heißt, dass die Schlachtkörper in eine Vielzahl von Teilstücken zerteilt werden, weil unsere Großhandels-Kunden (Fleischerfachgeschäfte, Lebensmitteleinzelhandel und Verarbeitungsbetriebe = Wurstproduzenten) nur bestimmte Teilstücke für ihre Produktion und den Verkauf (gut) gebrauchen und vermarkten können. Genauso wie der Verbraucher in aller Regel bestimmte Stücke bevorzugt, wie z.B. das Kotelett oder den Nacken, die Pfoten, fette Bäuche, aber meist weniger die Schwarten, die Knochen oder das ganze Fett. Nach der Zerlegung eines Schlachkörpers haben wir eine große Anzahl von Teilen, die innerhalb kürzester Zeit verkauft werden müssen, da Fleisch nur begrenzt gekühlt haltbar ist.
  • Großhandels-Kunden also, die an Tierwohlprogrammen interessiert sind, möchten i.d.R. nur die Teilstücke kaufen, für die sie auch entsprechendes Konsumentenpotential vermuten. Der Schlacht- & Zerlegebetrieb bleibt also i.d.R. auf den weniger wertvollen Teilstücken sitzen bzw. muss sie zu Nicht-Tierwohlpreisen verkaufen. Der Verkaufverlust muss auf die wertvollen Teilstücke aufgeschlagen werden, damit sich die Abnahme von Tierwohlschweinen für den Schlacht- & Zerlegebetrieb überhaupt rechnet. Das bedeudet aber im Regelfall, dass ein Großhandelskunde, der im Idealfall 25 % aller Teile des Tierwohlschlachtkörpers abnimmt, bei rd. 20 % höheren Erzeugerkosten durch Teilnahme am Tierwohlprogramm, schon 80 % höhere Preise für diese 25 % besonders nachgefragten Teile akzeptieren müsste. Dazu kommt ein kalkulatorischer Kostsenaufschlag durch den LEH, z.B. für einen Anteil nicht verkaufbarer Ware. Das bedeutet im Ergebnis, dass Ware aus Tierwohlprogrammen mindestens doppelt so teuer sein muss wie Standardware..
  • Eine Erzeugergemeinschaft oder Erzeuger mit eigener Fleischgewinnung und -Vermarktung kann sich also nur dann für mehr Tierwohl engagieren, wenn er einen Abnehmer findet, der regelmäßig, vollständige Tierkontingente der am Programm teilnehmenden Landwirte abnimmt und darüber hinaus bereit ist, mehr als 25 % des Schlachtkörpers zu kaufen..
  • Der EGO ist das nach vielen vergeblichen Versuchen endlich gelungen. Das Programm ist zu Beginn des Jahres angelaufen und alle sind gespannt, ob es sich am Markt etablieren wird. Denn trotz der Verpflichtung deutlich mehr als diese 25 % des Schweines zu vermarkten, wird die Ware im Verkaufsregal fast 50 % mehr kosten, als herkömmliche Fleisch- und Wurstwaren..
Fazit:.
  • Tierwohlprogramme lassen sich nur mit Kunden realisieren, die bereit sind vollständige Tierkontingente abzunehmen. Das sind im Wesentlichen Abnehmer aus dem Lebensmitteleinzelhandel, die in aller Regel über eigene Fleischwerke verfügen, also Frischfleisch verkaufen und gleichzeitig Wurst aus dem Rest der Teilstücke produzieren & verkaufen, oder ambitionierte und kapitalstarke Wursthersteller, die in der Lage sind in eine Aufbauphase solcher Programme zu investieren und Anlaufverluste hinzunehmen bis der Markt - also der Verbraucher - das (dauerhaft) honoriert..
  • Die Kennzeichnung von Markenprogrammen, z.B. mit einem Tierwohl-Label, verursacht nochmals Mehrkosten in der gesamten Prozesskette, weil die Kontingente auf allen Stufen der Fleischgewinnung und Verarbeitung sortenrein und ohne Vermischung durchgeleitet werden müssen. Das nennt man Gewährleistung der Nämlichkeit oder Sicherstellung einer lückenlosen Rückverfolgbarkeit..
Wer also ohne dieses Detailwissen glaubt, für ein mehr an Tierwohl sei es mit ein wenig Stroh oder Auslauf getan, der irrt. Das ganze Tier muss vermarktet und bezahlbar sein. Die lange Liste der Betriebe, die gerne an der Initiative Tierwohl teilnehmen wollen, belegt eindrucksvoll, dass die Bereitschaft der Landwirte, mehr in Tierwohl zu investieren, durchaus da ist.
Entscheidend für die Realisierung ist ein ehrliches Bekenntnis des Handels und der Konsumenten, die (beträchtlichen) Mehrkosten dauerhaft zu honorieren. Gelingt das nicht, wandert die Produktion in andere Länder ab (wie in der Eierproduktion geschehen: mehr als 50% der Legehennen in Europa stehen nach wie vor in Käfigen) und dem Tierschutz wird ein Bärendienst erwiesen.

Kontakt:

Rudolf Festag
Erzeugergemeinschaft für Schlachtvieh im Raum Osnabrück eG

Harderberger Weg 18; 49124 Georgsmarienhütte

Fon: (05401) 82 00 53

Rudolf.Festag@eichenhof.net
www.eichenhof.net


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